Im Pferdewagen zum Fahnenaufzug
Schnaubende Pferde, zwei gedeckte Wagen, je ein Fuhrmann, so kamen sie daher, wie aus alten Zeiten und hielten just vor der Kapelle in Mägenwil. Dort hat sich eine muntere Schar von Kindern und Erwachsenen versammelt. Im Hintergrund Zaungäste, die gespannt schauten, was hier abgehen soll. Dann die Musikanten in Uniform, sie kamen in Stellung, präsentierten sich mit ihren goldenen Instrumenten. Somit war jedem Gast klar: Hier geschieht etwas Besonderes. Und in der Tat. Die ganze Gruppe formierte sich pünktlich um 17 Uhr vor der Kapelle und die Leiterin der Katechese, Mirjam Savia, hob ihre Stimme an, begrüsste die Schar von Kindern und Erwachsenen, wies auf die Fahne hin, die da unter den Klängen der Musikanten hochgezogen werden soll. Bunt, in grellen Farben erschien sie aufgerollt von Kindern. Und selbst Pfarrer Schärli liess es sich nicht nehmen, Worte von Gemeinschaft und Frieden zu sprechen, die Fahne zu segnen, die Kinder einzuladen, ein Kreuzzeichen auf die Fahne zu zeichnen.
Und dann ging es los. Hinein in die Wagen. Munteres Plaudern, gespanntes Warten, bis der Fuhrmann den Zwick mit den Seilen gab und die Pferde wussten, jetzt sind wir an der Reihe. Wir ziehen die Wagen nach Wohlenschwil, über verlassene Wege und dort gibt es den nächsten Halt. Das heisst, die Fahrgäste steigen aus und überlassen sich ein zweites Mal einem Ritual mit Ansprache, Fahnenmarsch und Segnung. Und alle die aus Büblikon und Wohlenschwil herbeigelaufen sind, um das Schauspiel zu verfolgen, wussten nachher: Wir sind ein Raum, der die Dorfgrenzen überschreitet, der sich öffnet auf Menschen zu, seien sie nun der Kirche nahe oder nicht. Wir strecken die Hand aus und ziehen den Zaun nicht zu eng. Was für eine Botschaft, in einer Zeit, da Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit wie aus dem Boden schiesst.
Und was kommt dann? Sie erraten es. Es geht weiter. Die Pferde stampfen ungeduldig auf den Boden und als der Fuhrmann aufgestiegen, die auserlesenen Kinder und Erwachsenen Platz genommen haben, geht es Richtung Tägerig. Dritte Station. Auch da wieder: Musikanten aus dem Dorf in Formation, hiessen der Fahne, gewählte Worte der Katechetin Esther Herzig, Segensgeste des Pfarrers und der Kinder und ein Gefühl von Gemeinschaft, das zurückbleibt in den Herzen der Menschen.
Aber noch sind wir nicht am Ziel angekommen. Noch sind einige Kilometer zurückzulegen zum Ziel: Mellinger Stadtkirche. Dort haben sich auf dem Kirchenplatz schon einige eingefunden. Ein Dutzend Musikanten, ein paar ältere Leute, Mütter mit ihren Kindern und auf allen Gesichtern ein frohes Lachen. Und da der Augenblick. Die Pferde haben es geschafft: Die lange Reise von Mägenwil nach Mellingen, umfassend die Dörfer des Pastoralraums. Der Glockenschlag der Johanneskirche erfolgt. 19.15 Uhr. Die Musikanten eröffnen, Esther Herzig erhebt ihre Stimme, die Leute lauschen und die Kinder entrollen und hiessen und der Pfarrer stellt die Fahne und die Menschen unter den Segen Gottes. Ein Schauspiel, das Klasse in sich hat. Denn so was gibt es nicht jeden Tag. Denn wo malen schon Kinder und Erwachsene ihre eigene Fahne und markieren damit: Hier sind wir zu Hause, hier gestalten wir unser Leben, hier bilden wir eine Gemeinschaft.
Zu guter Letzt wurde angestossen im Vereinshaus. Es gab Wein, Most und Mineral. Dazu feines Gebäck, von Frauen zubereitet. Auch da sind Frauen am Werk. Wo nicht?
Johannes Zürcher