Mit Ängsten leben

Liebe LeserInnen

Die Kosten für meine 5 Jahre Theologiestudium hatte ich zu zwei Dritteln selber zu berappen. So überlegte ich mir, mit welcher Arbeit ich von Juli bis Oktober das Geld zusammenbringe. Ein Verwandter sagte mir, melde dich beim Wachdienst der Securitas: waffenloser Dienst, nachts, aber gut bezahlt. So meldete ich mich und trat mit fünf Kollegen (vom äusseren Aussehen her Bodyguards), zur Einführungswoche an. Nach den sechs Nächten zu zweit verabschiedeten sich die starken Kerle allesamt. Die folgende Nacht hatte ich erstmals alleine den Dienst zu verrichten.

Sie dürfen mir glauben, die Angst kam jede Nacht, plötzlich, sei es auf der menschenleeren Strasse, in einer riesigen Fabrikhalle usw. So lernte ich, mit den Ängsten zu leben.

Und ich erlebte vieles: ein Einbrecher, der gerade mit dem Auto davonbrauste, alle Türen des Bürogebäudes eines Grossverteilers geöffnet: morgens um 02.00, brennende Papierkörbe, glühende Lötkolben und anderes mehr. Damals bloss mit einem Funkgerät ausgerüstet, lernte ich, Vertrauen zu bekommen in meinen Vorgesetzten, den ich jederzeit anrufen konnte, mir Tipps gab, mich wissen liess, in fünf Minuten ist die Polizei zur Stelle. Und: Mein Vertrauen in Gott, das ich schon als Kind zu lernen hatte, kam mir entgegen und wurde weiter vertieft.

Und jetzt in der Corona-Krise befallen viele Menschen Existenzängste. Und die sind weiss Gott berechtigt.

So rate ich Ihnen als Seelsorger folgendes:

Zuallererst: Besinnen Sie sich auf sich selber. Legen sie ab, was zum Prahlen, zum Angeben gehört. Das hilft ihnen jetzt nicht. Seien Sie dankbar um Ihre Gesundheit. Fahren Sie sich herunter, werden Sie ruhig. Und denken Sie nach, was für Ihr Überleben von Nöten ist. Dann beginnen Sie sich zu überlegen, welche Menschen: Verwandte und Nachbarn, Freundinnen und Kollegen, Ihnen beistehen könnten, auch Institutionen unserer politischen Gemeinden. In einem dritten Schritt müssen sie den Mut aufbringen, klein und demütig zu werden, auf Menschen bettelnd zuzugehen. Sie werden alles erleben, Enttäuschungen heimfahren und Positives, das Sie nie geahnt haben. Übrigens, nicht bloss der Staat kann helfen, zum Beispiel: mit Kurzarbeit anmelden.

Ängste abfedern

Als Kirche vor Ort geben wir uns alle Mühe, Ängste abzufedern. Existenzangst kann nämlich heissen, nichts mehr im Portemonnaie zu haben, leere Kreditkarten. Als Pfarrei können wir für Lebensmittel gerade stehen. Aber auch wir können nur helfen, wenn Sie mutig auf uns zukommen. Wir Seelsorgende wissen nicht alles, wir sind nicht der liebe Gott, sondern versuchen mit bestem Wissen und Gewissen in seinem Dienst zu stehen.

Und jetzt lachen Sie nicht mehr, wenn ich Ihnen Mut mache, Ihr Leben Gott anzuvertrauen. Denn nur im wirklichen Leben können wir alle das Göttliche und seine Hilfe erfahren, erleben, life is life oder live is live. Gott ist Leben, Liebe, Licht.

Ich schliesse mit einem Erlebnis aus meiner Securitaszeit: Mit einem 2-Takt-Töffli hatte ich meine 16-Kilometer Route zu bewältigen. Meine Kollegen stichelten mich und sagten mir, nimm morgen das Florett, mit diesem Töff kommst du viel schneller voran. Ich tat es, und zwar ohne Führerausweis, und prompt kam ich in einer der folgenden Nächte in eine Grosskontrolle der Polizei. Proscht! „Oh mein Gott, was sage ich nur, wenn ich an der Reihe bin?“ Ich trug die Uniform der Securitas. Kam dran und sagte: „So, liebe Kollegen, seid ihr auch im Dienst?“ und wurde mit einem „Ja“ lächelnd durchgewunken.

Haben sie Mut! Kämpfen Sie gegen die Ängste. Die bringen so viel Positives mit sich. Und führen vielleicht auch Sie wieder zum Glauben an das Wirken des Göttlichen.

Walter Schärli und Seelsorgende