Wohlenschwil wird reformiert

1519 hat Ulrich Zwingli in Zürich die Reformation eingeläutet. Zehn Jahre später traten mit Mellingen auch Wohlenschwil und einige andere Gemeinden zum neuen Glauben über. Am 24. Mai 1529 kam es zum Bildersturm in Wohlenschwil. Die reformierte Episode dauerte von 1529 bis 1531. Nach dem 2. Kappelerkrieg (1531) wurden die abtrünnigen Gemeinden gewaltsam rekatholisiert.

Bild: Zwingli-Denkmal in Wildhaus im Toggenburg, dem Geburtsort von Ulrich Zwingli.

Der Mellinger Stadthistoriker Rainer Stöckli hat die Ereignisse in einem Beitrag des Reussbote vom 23. März 1979 zusammengefasst. Eine Artikelkopie aus dem Wohlenschwiler Pfarreiarchiv ist hier erfasst, versehen mit zusätzlichen Zwischentiteln und hervorgehobenen Zitaten.

Reussbote, Freitag, 23. März 1979

Vor 450 Jahren

Einführung der Reformation in Mellingen

Am 27. März 1529 beriefen Schultheiss und Rat von Mellingen eine Gemeindeversammlung ein. Diese beschloss mit nur fünf Gegenstimmen, im Städtchen die Reformation einzuführen. Es ist in diesem Zusammenhang deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser Entscheid auf völlig demokratischem Weg und – soweit wir dies heute beurteilen können – unter keinem nennenswerten Zwang erfolgte. Der Übertritt Mellingens zur Reformation ist als umso bedeutsamer einzustufen, wenn wir vernehmen, dass das Reuss-Städtchen in unserer Region – abgesehen vom benachbarten Berner Aargau – die erste Ortschaft war, welche offiziell zum evangelischen Glauben übertrat, und somit wahrscheinlich nicht Unwesentliches dazu beitrug, dass in der Folge eine ganze Reihe weiterer Gemeinden den gleichen Schritt vollzogen.

Bildersturm am 24. Mai 1929

In einige Pfarreien war zwar schon viel früher als in Mellingen das evangelische Glaubensgut von der Kanzel verkündet worden. So verfochten in Fislisbach die beiden gleichnamigen Pfarrer Urban und Wolfgang Wyss bereits seit den frühen Zwanzigerjahren die Lehre Zwinglis, doch erst am 24. August 1529 entfernten die Dorfgenossen als offizielles zeichen ihres Übertritts die Bilder und Statuen aus ihrem Gotteshaus. Ein ähnliches ist auch von Pfarrer Heinrich Buchmann, der um 1520 in Rohrdorf installiert wurde, zu berichten. Dieser vertrat ebenfalls recht bald die neuen religiösen Ansichten; doch auch hier vollzog sich der offizielle Übertritt erst zwei Monate nach Mellingen. Bereits am 29. März war Oberwil bei Bremgarten dem Beispiel Mellingens gefolgt, während sich die Gemeindeversammlung von Bremgarten erst Mitte April endgültig dazu durchringen konnte. Die Stadt Baden hingegen verharrte die ganze Reformationszeit über beim katholischen Glauben. Am 24. Mai 1529 kam es schliesslich zum Bildersturm in Wohlen, Villmergen, Hägglingen, Göslikon, Niederwil und Wohlenschwil.

Chroniken aus prokatholischer Optik

Nach diesem Überblick über die Ereignisse in der Region zurück zu den Verhältnissen in Mellingen: Am Tage des offiziellen Übertritts – man feierte eben den Karsamstag – wurden im Städtchen die Messe abgeschafft, die Heiligenreliquien und die Bilder aus der Kirche entfernt und letztere verbrannt. Ein etwas übermütiger Neuerer nahm die Jesusfigur vom Palmesel, setzte diese auf einen Brunnen und steckte ihr eine Fischrute in die Hand. Dieser soll später – laut dem katholischen Chronisten Renward Cysat – ertrunken und mit Seilen aus den Fluten gezogen worden sein. Die Berichte über den Bildersturm in Mellingen stammen hauptsächlich von stark prokatholischen Chronisten: vom eben genannten Luzerne Stadtschreiber Cysat und von Hans Salat, der eine Zeitlang als Sekretär des Mellinger Söldnerwerbers Hans Dachselhofer im Schlösschen Hünegg (heute Restaurant Rosengarten) gewirkt hatte. Aus diesem Grund sind die Aussagen der beiden mit einige Vorsicht aufzunehmen. So erzählt Salat, die Bettler Mellingens hätten aus den Pfeifen der Kirchenorgel am liebsten Zinnplatten gefertigt, und Cysat weiss zu berichten, dass einige der Bilderstürmer von Mellingen von Läusen derart gepeinigt worden seien, dass die kleinen Tierlein sie schliesslich „zu todt gefressen“ hätten.

Ulrich Zwingli liess sich von der Ansicht leiten, dass Heiligenbilder und Orgelspiel vom eigentlichen Gottesdienst und Wort Gottes ablenken würden.

Die Bilderstürmer jener Zeit sind für uns heutige Menschen nicht leicht verständlich. Ulrich Zwingli liess sich dabei vor allem vom Alten Testament, das jegliches Kultbild verbot, und der Ansicht leiten, dass Heiligenbilder, Orgelspiel und übriger Zierrat nur vom eigentlichen Gottesdienst, der Verkündigung des Wortes Gottes, ablenken würden.

Wesentliche Impulse von politischer Seite

Wir kommen nun nicht mehr um die Frage herum: Weshalb trat Mellingen praktisch ohne jeden inneren Kampf auf die Seite der Reformierten über? Ein überragender Führer, wie ihn Bremgarten in Heinrich Bullinger besass, existierte in Mellingen nicht. Der Pfarrer von damals, Kraft Oelhafen, war streng kaktholisch und verliess im März 1529 die Stadt. Offenbar gingen deshalb die wesentlichen Impulse von politischer Seite aus. Der Kleine Rat, das höchste politische Gremium, muss zu jener Zeit mehrheitlich aus evangelisch gesinnten Mitgliedern bestanden haben. Merkwürdigerweise waren aber alle Schultheissen der Reformationszeit, Rudolf Frey, Hans Meyer und Bernhard Segesser, Anhänger des alten Glaubens. Eindeutiger Förderer der Reformation war jedoch der 1527 aus Aarau hergezogene Mellinger Bürger Andreas Häuptinger. Seit dieser im Städchen als Stadtschreiber und Schulmeister amtete, lässt sich ein immer deutlicheres Hinwenden der Bevölkerung zum reformierten Glauben feststellen. Denn noch 1526 war Mellingen mehrheitlich im katholischen Glauben verwurzelt. Als nämlich damals schon seit mehreren Jahren die Lehre Zwinglis vertretende Kaplan Johann Gingi nicht zum neuen Pfarrer gewählt und diesem obenerwähnter Kraft Oelhafen vorgezogen wurde, verliess Gingi unter tumultuösen Umständen das Städtchen, wurde Prädikant in Schöftland, blieb aber weiterhin in engem Kontakt mit einzelnen Bewohnern Mellingens. Es ist deshalb nicht auszuschliessen, dass dieser auf den Umschwung in der Stadt einen nicht unwesentlichen Einfluss ausübte.

Die letzten, tiefsten Gründe, weshalb sich Mellingen derart entschieden für die Lehre Zwinglis einsetzte, werden wir wohl nie aufdecken können.

Die letzten, tiefsten Gründe, weshalb sich Mellingen derart entschieden für die Lehre Zwinglis einsetzte, werden wir wohl nie aufdecken können. Sicher müssen wir das ganze Geschehen auch im Zusammenhang der tiefgreifenden religiösen und geistigen Umwälzungen, die damals ganz Mitteleuropa erfassten, sehen. Bemerkenswert ist auch, dass es vor allem Bern und nicht das nahegelegene Zürich war, welches Mellingen ermunterte, den evangelischen Glauben anzunehmen, und dem Städtchen seinen Schutz versprach.

Über das religiöse Leben jener Jahre sind wir nur spärlich unterrichtet. Als Pfarrer wirkte zwischen 1529 und 1531 Jakob Kolmar. Über dessen Leben wissen wir praktisch nichts. In diesen Jahren wurden verschiedene religiöse Stiftungen, wie die Liebfrauenkaplanei und die Mittelmesserpfründe aufgehoben und deren Vermögen sozialen Zwecken zugeführt. Einzig die noch heute bestehende Frühmesserkaplanei konnte aufgrund der vehement prokatholischen Haltung der Familie Segesser die Reformationszeit überstehen.

1531 zurück zum katholischen Glauben

Zahlreiche Mellinger Bürger nahmen auf der Seite Zürichs am 1. Kappelerkrieg von 1529 teil und versuchten im 2. Kappelerkrieg im Oktober 1531 mit allen Kräften das Städtchen vor den Angriffen der Katholiken zu schützen. Nach den für die katholischen Orte siegreich verlaufenden Schlachten bei Kappel und am Gubel wurde Mellingen, da es sich weiterhin hartnäckig weigerte, mit den Innerschweizer Orten Frieden zu schliessen, von diesen gezwungen, wieder den katholischen Glauben anzunehmen. Diese gewaltsame Rekatholisierung ging nicht ohne innere Kämpfe vor sich. Mehrere Einwohner – so Pfarrer Kolmar und Stadtschreiber Häuptinger – verliessen die Stadt. Am 3. Dezember 1531 wurde in der Pfarrkirche wieder erstmals Messe gelesen.

So blieb die Geschichte des reformierten Glaubens im Mellingen des 16. Jahrhunderts eigentlich nur Episode. Erst im letzten Jahrhundert, als die Glaubens- und Gewissensfreiheit einer der wichtigsten Grundsätze des jungen Kantons Aargau und des schweizerischen Bundesstaates wurde, siedelten sich auch im Städtchen wieder Reformierte an. 1894 wurd eine „evangelisch-reformierte Genossenschaft für Mellingen und Umgebung“ gegründet und 1910 die Kirche an der Lenzburgerstrasse errichtet.

Literatur:

Otto Huniker. Reformiert Mellingen. Mellingen 1954.
Rainer Stöckli. Geschichte der Stadt Mellingen. .. Fribourg 1979.